Unsere Bayern im Felde
Erzählungen aus dem Weltkriege 1914/15 - v.1.
Joseph, Peter
Ed. Munich 1915
23.
August 1914 (Sonntag). Um halb sechs Uhr wurde geweckt und
Kaffee gefaßt, dann machten wir uns marschbereit und erwarteten
am Waldrand den Abmarsch; auf freiem Felde durfte sich keiner
blicken lassen, solange feindliche Flieger in der Luft kreuzten.
Gegen 10 Uhr kam der Befehl: „Abmarsch nach Blamont, wo das
Regiment vor dem Divisionskommandeur und dem Generalstabe
vorbeimarschieren soll. Es war wieder ein wunderschöner, aber
heißer Tag. Wir kamen an verlassenen französischen Unterständen
und Schützengräben vorbei; auf dem Felde lagen noch viele
Leichen von Franzosen, Pferde, Waffen, Munition und
Ausrüstungsstücke. Wir zogen nach Blamont hinunter, am Bahnhof
vorbei, durch die Hauptstraße. Viele Häuser waren durch
Geschosse zerstört, in den Läden, Cafés und Hotels lag alles
wüst durcheinander, über Hals und Kopf von den Franzosen
verlassen. In einem Garten standen noch Tische und Stühle, wo
offenbar französische Offiziere gestört worden waren,
Weinflaschen und geschlachtetes Vieh lagen herum. Am Marktplatz
herrschte reges militärisches Leben, der Generalstab war aber
bereits weiter, erst später auf der Landstraße kamen wir an den
Autos der Generäle und Stäbe vorbei. Auf der Höhe oberhalb
Blamont wurde kurze Zeit gerastet und Wasser gefaßt. Dann ging
es weiter auf der Straße durch Barbas und Ancerviller, dann
links ab von der Straße ins Tal hinunter, wo wir hinter einem
Wald in Stellung gingen. Wir waren in zweiter Gefechtslinie.
Gegen Abend rückten wir allmählich über Wiesen und Wasser und
durch Wald die Höhen hinauf. Wir zogen durch einen Ort. Am
äußersten Ortsrand bekamen wir plötzlich Artilleriefeuer,
konnten uns aber noch rechtzeitig hinter einer Scheune decken.
Hier merkten wir, daß wir offenbar von eigener Artillerie
beschossen wurden, das Feuer hörte auch wirklich auf, als wir
mit roten Flaggen und Tüchern Zeichen gaben. Wir waren etwas
weiter vorgegangen, als wir eigentlich gesollt hätten und unsere
Artillerie hat offenbar hier noch Feinde vermutet.
Glücklicherweise kamen wir ohne Schaden durch. Wir mußten dann
nach Ancerville zurückmarschieren. Am Ortsrand wurde auf einer
Wiese gerastet und Essen gefaßt. Inzwischen waren im Ort für uns
Quartiere gemacht worden, unsere Kompagnie fand in einer Scheune
Quartier.
Eine alte Frau, die sich im Hause befand, nahm uns freundlich
auf, sie klagte uns: „Nous n'avons pas voulu la guerre" und
erzählte uns weinend, daß ihr Mann schon seit zwei Tagen nicht
nach Hause gekommen ist; sie wisse gar nichts von ihm. Je ein
Doppelposten wurde an den beiden Ortsausgängen an der
Hauptstraße aufgestellt mit zweistündiger Ablösung von 11 Uhr
ab. Von 1 bis 3 Uhr stand ich auf Posten am Nordausgang des
Ortes; die Nacht war klar und still, im Ort und der Umgebung
waren verschiedentlich Lichter zu sehen. Artillerie und
Transportkolonnen kamen noch in später Nacht im Ort an. Während
der ersten halben Stunde hörte ich wiederholt Schüsse im Wald
westlich von uns fallen, feindliche Anschläge waren offenbar von
unseren Vorposten zurückgewiesen worden. Sonst blieb alles
ruhig. Aufsteigender Nebel erschwerte gegen Morgen den Ausblick.
Dann kam die Ablösung.
24. August 1914. Ab 5 Uhr früh stand die Kompagnie marschbereit.
Wir bekamen unseren Kaffee gebracht. Um halb sieben Uhr erfolgte
der Abmarsch. Unterwegs waren uns viele Truppen begegnet, ein
Chevaulegerregiment war uns vorgeritten. Während wir hier in
Stellung lagen, kreisten feindliche Flieger über uns, einer
wurde von unserer Artillerie und mit Maschinengewehren
heruntergeholt und von Kavallerie abgefaßt. Gegen Mittag gingen
wir durch den Ort in dem anschließenden Wiesental
hinter einem langen unbewaldeten Bergrücken vor. Es kam der
Befehl: 2. Bataillon geht zum Angriff vor; in Kompagniekolonne
überschritten wir die Höhe in südöstlicher Richtung. Da wir auf
dem ungedeckten Gelände dem Feinde gute Sicht boten, wurden wir
sofort mit Artilleriefeuer empfangen. „Hinlegen" hieß es. Vor
und hinter uns schlugen die Granaten ein. Durch sprungweises
Vorgehen, bei dem es einige Verwundete gab, entgingen wir dem
Feuer und erreichten jenseits der ins Tal führenden Straße ein
Wäldchen, das uns Veckung bot. Gegen Abend rückten wir am
Waldrand entlang weiter vor und kamen über Felder, Wiesen, Sumpf
und Wasser hinunter gegen Gelacourt. Zahlreiche Häuser waren
zerstört, einige brannten. In der Umgegend standen mehrere Orte
in Flammen. |