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14 août 1870 - Les Prussiens à Blâmont (2)
Texte en langue allemande

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Guerre de 1870
 


Auf dem Siegeszuge von Berlin nach Paris
Schlachtenbilder und biographische Silhouetten
Karl August Gottfried Pietschker

Ed. Postdam & Leipzig 1895

Blamont.
Blamont, 14. August. [1870]
Nach einem heißen und langweiligen Marsch sind wir à grande vitesse hier in dem reinlichen Städtchen Blamont, früher Blankenburg geheißen, gegen Mittag angelangt, fanden aber auch hier schon sämmtliche Kaufläden und öffentliche Lokale geschlossen und die zurückgebliebene Bevölkerung in einer sehr gereizten und widerwilligen Stimmung. Merkte man schon in Saarburg, daß man sich auf der Grenze des deutschen und französischen Wesens befand, so sieht hier Alles schon ächt französisch aus. Die Dörfer am Wege haben nicht mehr das malerisch-gemüthliche Aussehen, wie jenseits der Vogesen, sie haben vielmehr jenen nüchternen uniformen Anstrich, der allen französischen Ortschaften von einigem Wohlstand eigen ist. Nach dem ersten Eindruck glaubt man sich in einer kleinen Stadt zu befinden. Die zwei- und dreistöckigen Häuser stehen, ohne Unterbrechung durch grüne Gärten, nebeneinander, die Dächer sind schon auffallend flach und alle Wohnungen mit Jalousien versehen. Die hellen, meist aus Sandsteinbauten bestehenden Gassen nehmen sich zwar viel sauberer und freundlicher aus, aber bei alledem fühlt sich unsereins nicht recht wohl in solchen Dörfern, die oft recht prahlerisch eine Mairie hingestellt haben, die sich mit manchem städtischen Rathhaus bei uns daheim messen könnte. Die Einwohner haben nicht mehr die frischen, freundlichen Züge des Elsasses. Es stehen zwar auch hier an allen Ecken und vor den Häusern Gruppen von Neugierigen; aber diese faulenzenden Blousenmänner mit ihren fahlen Absynthgesichtern, ihren schwarzen Knebelbärten und wüthenden Blicken machen keinen angenehmen Eindruck, und so manches Mal zuckt Einem die Faust, einem solchen frech-herausfordernden Buben, mit den Händen in den weiten Hosen, einen tüchtigen Denkzettel zu geben. Und bittet man diese Bande um einen Schluck Wasser, so heißt es wie auf Kommando: rien du tout, monsieur, rien du tout! - wobei aber die Kinder zugleich die Hände hinhalten und im selben Tonfall bettelnd rufen: un sou, monsieur, un sou!
Die Chausseen sind zwar alle gut gepflegt, aber diese schnurgeraden, unsäglich langweiligen Pappellinien machen mich immer ganz mißmuthig, zumal wenn diese steifen Pappeln nach ächt französischer Weise noch zurecht gestutzt und unten aller Zweige beraubt sind. So manchmal blickten wir deshalb sehnsüchtig nach rückwärts, wo die Berge der Vogesen im zarten Duft der Ferne vor uns ausgebreitet lagen. - Doch es heißt „vorwärts", immer die Pappelstraße entlang, welche mit ihrer Gluthhitze und ihrem Staube Alles ausdörrt.
Auch der Kronprinz scheint die staubige Landstraße gründlich satt zu haben, denn er sprengt heute querfeldein, um möglichst jede Ecke abzuschneiden und bald nach dem Städtchen zu gelangen, welches uns schon mit seiner malerischen Ruine und seinen hellen Häusern aus der Ferne entgegen lacht.
Und doch, wie gut haben wir es, wenn wir uns mit den marschierenden Infanterie-Kolonnen vergleichen, die wie eine dunkle, oben glitzernde Schlange in dem Staube der Heerstraße eng gedrängt und in endloser Reihe sich heranschieben. Seit 4 1/2 Uhr sind die meisten Bataillone auf den Beinen; - um 9 Uhr ist ein kurzes Rendezvous gewesen, in dem es aber nichts zur Erfrischung gab. Die müden Mannschaften hatten die Gewehre zusammengesetzt und sich ein wenig gestreckt, wobei der Tornister gleich als Kopfkissen dient. Hie und da untersuchten Einzelne trog ihrer Müdigkeit das Schuhwerk und legten Strümpfe und Fußlappen glatt, um sich nachher noch weiter schon schleppen zu können. Doch da ertönt wieder das scharfe Kommando: „An die Gewehre, - Gewehr in die Hand, - Gewehr über! Bataillon Marsch!"
Wieder geht es auf endloser Pappel-Chaussee in endloser Kolonne weiter und weiter, immer „wärtser und wärtser." Die Sonne ist immer höher gestiegen und sendet ihre Strahlen fast senkrecht hernieder. Da der Kronprinz mit seinem Stabe schon vorhin vorüber gesprengt ist, so suchen einzelne menschenfreundliche Kommandeure ihren Leuten den Marsch dadurch zu er leichtern, daß sie die Züge etwas auseinander ziehen lassen. Wie eine Erlösung kommt die Erlaubniß, daß der Kragen vorne geöffnet und die Halsbinde gelockert werden kann. Bei diesem unerträglichem Staub, der in dicken Wolken aufwirbelt und sich über die Kolonne lagert und bei der völligen Leere der Feldflaschen ist aller Gesang verstummt; selbst den sonst unverwüstlichen Witzbolden der einzelnen Kompagnien scheint durch die heiße Sonne der Verstand mit sammt der Zunge eingetrocknet zu sein. Ein Major ruft seinem Bataillon zu: „Aber Leute, laßt doch nicht die Köpfe hängen! - Singt uns doch eins! Macht's Euch bequem: Die Kniee etwas krumm und die Schritte etwas länger, und dann angestimmt!" Einzelne versuchen's und fangen an:
Bin ein lust'ger Grenadier,
Jubheidi, jubheida;
Niemals meinen Muth verlier,
Jubheidi, heida.
Diene meinem König treu
Und dem Mädel auch dabei,
:Jubheidi, jubheida,
Jubheidi heidallala!

Unser Hauptmann der ist gut,
Jubheidi, jubheida,
Wenn man seinen Willen thut,
Jubheidi, heida!
Hat man aber 'was verbrochen,
Wird man in das Loch gestochen

aber bald verstummt Alles wieder; der Staub ist zu dick und trocknet selbst den sangesfrohen Thüringern, die soeben vorüberzogen, die Kehle aus. Kein erfrischendes Lüftchen fächelt Kühlung zu, kein Baumschatten wehrt der sengenden, ausdörrenden Gluth der Sonnenstrahlen. - Der Helm wird dann und wann gelüftet, Taschentücher oder größere Blätter auf den Kopf gelegt, Strohhalme oder Kirschkerne in den heißen Mund genommen; abwechselnd lüften die Hände hinten den Affen, der fest am durchnäßten Rücken klebt. Gleichgültig, ohne jedes Interesse für die durchwanderte Gegend, über welcher die brütende Mittagssonne flimmert, marschieren die Mannschaften dahin; starr, fast stumpfsinnig, blickt man auf den Tornister oder Helm des Vordermannes und seht mechanisch einen Fuß vor den anderen. Nur wenn ein aufmerksamer Offizier oder ein zählender Flügelmann eine neue Nummer der durchmessenen Kilometer ausruft, dann fliegt ein leises Lächeln über die matten, von Staub und Schweiß bedeckten Züge.
Wie leicht wandert es sich bei Landpartien 12-20 Kilometer dahin, und wie bitter-sauer sind solche 25-30 Kilometer in heißer, staubiger Marsch-Kolonne, in enger Uniform und mit dem Gepäck auf Rücken und Schulter. Immer größer wird die Zahl der Erschöpften, die nach Aufbietung der letzten Kraft zusammenbrechen und von ihren Kameraden an den Straßenrand gelegt werden, damit wir Johanniter nachher uns ihrer annehmen. Der graue Staub legt sich wie ein erstickender Mehlthau über Alles, über Menschen, Thiere, Waffen und Pontons, über die Bäume und Sträucher des Weges; - kaum können die Mannschaften noch Lippen und Augen öffnen vor dieser dicken Staubkruste.
Noch einmal wird zu einem Rendezvous Halt gemacht, da bis zum ersehnten Ziel noch 4 Kilometer zu machen seien und im nahen Blamont der Kronprinz diese und alle folgenden Abtheilungen des XI. und V. Korps im Vorbeimarsch inspiciren wolle. Die Bataillone biegen nach links ab auf einen größeren Wiesen- und Ackerplan. Da wo die Mannschaften eben gehen und stehen, legen sie sich sogleich nieder, unbekümmert um die brennende, stechende Sonnengluth. Selbst die Offiziere, die sich am trockenen Chausseegraben niedersehen, sind schweigsam und ganz apathisch; aus Rücksicht auf die tiefe Erschöpfung wagt keiner derselben seinen Burschen heranzurufen; lieber stäuben sie sich selber nothdürftig ab. Wenn so große Strapazen zu ertragen sind, bedarf der marschirende Soldat jede Minute der ihm gelassenen Ruhezeit zu seiner leiblichen Erholung, und man darf sie ihm durch nichts verkürzen. - Doch kaum ist die Kavallerie und Korps-Artillerie vorüber und als eine große Staubwolke davon gezogen, da heißt's schon wieder: „An die Gewehre! Gewehr in die Hand!".
Mit Sehnsucht blickt Alles nach der schmucken Stadt da vorn und wünscht sich, dort schon in's Quartier zu kommen; doch daran ist nicht zu denken, denn nur ein Bataillon 58er, heißt es, bleibt als Stabswache zurück, die übrigen marschiren noch 3-4 Kilometer weiter. - Die steif gewordenen Glieder sind nach fünfzig Schritt wieder geschmeidig, und selbst die wunden, durchgescheuerten Füße suchen wieder fester aufzutreten.
„Angeschlossen, - Tritt gefaßt, - Augen links!" beim ersten Bataillon beginnt die Regimentsmusik, unsere Trommler und Querpfeifer sehen auch mit ihrem „He, Mutter, die Landwehr kommt, die Landwehr kommt" nach Kräften ein; alle Leute, selbst die schlappesten, bemühen sich stramm, wie es preußischen Soldaten ziemt, zu marschiren und freuen sich schon des Augenblicks, wo das musternde Königsauge des geliebten Kronprinzen auf ihnen ruhen wird. Die Haltung der Mannschaften wird unwillkürlich stolzer und strammer, und selbst schüchterne Versuche zum Durchdrücken der Kniee und Strecken der Fußspitzen werden wieder gemacht. Aber bald sind die stillen Straßen der Stadt durchzogen, ohne daß der Höchstkommandirende gesehen wurde; nur einige Stabsoffiziere, die nach der entlegenen Wohnung Sr. Königl. Hoheit eilten, und in allen Straßen gaffende Blousenmänner kamen den Mannschaften zu Gesicht. Die Musik schien aber alle Erschöpfung vertrieben zu haben; und während die Truppen festen Schrittes und strammer Haltung weiterziehen, suchen wir unser angewiesenes Quartier auf, voller Freude, endlich der Mittagshize - es war mittlerweile fast 1 Uhr geworden, - entfliehen und einen schattigen Winkel aufsuchen zu können.
Wir bekamen Privatquartier, „aber fragt mich nur nicht wie?!" Erst nach einer Scene und einem tüchtigen Säbelhieb auf den Tisch wird uns 6 Mann von dem großen dreistöckigen Hause mit stattlichen Hintergebäuden ein kleines Zimmer mit Strohlager eingeräumt und eine Suppe bereitet, die man dem reichen, aber schmutzig geizigen Wirth gleich über den Kopf hätte gießen mögen. Mit gespreizten Füßen stand der auffallend große Hausherr in der Thür, dankte nicht auf unsern freundlichen Gruß und machte uns erst Platz zum Eintreten, als mein Flügelmann studios. Seiffert mit einem kräftigen pommerschen Stoß ihn zur Seite geschoben und handgreiflich bewiesen hatte: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr." Statt der apostolischen „Gastfreundschaft ohne Murmeln" hatten wir eine solche mit Murmeln, schließlich sogar mit Schimpfworten. Das war uns aber doch zu toll! - Ich wies die Mutter unseres Wirthes, ein altes, krummes Weib mit giftigen Augen, zu unserm Zimmer hinaus, als sie plötzlich angefangen hatte, auf deutsch zu schimpfen und zu fluchen, hieb mit der flachen Klinge auf den Tisch und erklärte, wenn nicht binnen einer Stunde irgend etwas Warmes uns zu essen gegeben sei, so würde ich den Feldgensdarmen herbeirufen und uns überdies in diesem großen Hause bequeme Zimmer mit Betten aussuchen. Das half.
Auf jede, auch die bescheidenste Bitte heißt's aber immer wieder, daß nichts mehr vorhanden ist und daß unsere Soldaten Alles, selbst die Bett- und Tischwäsche, genommen hätten. Wenn nur die Hälfte von dem wahr wäre, was die Leute mit vielen Phrasen und Lamentationen behaupten, so müßte jeder Soldat außer seinem mit vorschriftsmäßigen Sachen gefüllten Tornister und Brotbeutel noch einen Gepäckwagen extra haben. Man sucht mit diesen stehend gewordenen Lügen Alles zu entschuldigen. Frägt man, weshalb sie kein Tischtuch aufdecken, so heißt es: Die Soldaten, ihre Kameraden, haben Alles genommen; beklagt man sich über bie schmutzige Gabel, die schon mehr Mistgabel gewesen zu sein scheint, so heißt's: vos camerades nous ont pris tous les objets d'argent. Der Wein ist natürlich auch ausgetrunken und mitgenommen; - kurz, diese Bande giebt nichts und lügt wie gedruckt. Müßte man nicht gewisse Rücksichten aufs Hauptquartier und den fast zu milde gesinnten Kronprinzen nehmen, so würde man dieser Lügenbrut einmal gründlich den Mund stopfen und durch eine Ocular-Visitation beweisen, daß sie alles Eßbare in großen Massen versteckt hat. Verdient hätten diese Leute eine solche Behandlung und Demonstrirung ad oculos schon längst.
Da die Proviant-Kolonne sich noch nicht sehen ließ, so gingen wir in die Stadt, um Einkäufe zu besorgen; aber überall dasselbe Schauspiel einer grabähnlichen Stille und Abgeschlossenheit, nur sehr selten ein geöffneter Laden. Natürlich auch hier wieder rien du tout, du tout, du tout. Troß unserer Angebote konnten wir nichts bekommen, sodaß sich unserer eine große Verstimmung bemächtigte und wir oftmals die Frage ventilirten, ob wohl diese übergroße Rücksichtnahme des edlen Kronprinzen diesem verbissenen Volke gegenüber angebracht sei; - und ob wohl die Franzosen, wenn sie zu uns gekommen wären, so rücksichtsvoll sich würden benommen haben?! Wir wollen ja Alles bezahlen und uns mit einem Strohlager in überdecktem Raum begnügen; - wenn diese Leute uns nur ein Bischen entgegen kommen und die primitivsten Pflichten der Wirthsleute erfüllen wollten!
Und nun versetze man sich in die Lage und die Empfindungen unserer armen Soldaten, wenn sie müde und hungrig nach langen, beschwerlichen Märschen ins Quartier kommen, und dann auf solche widerhaarige Gesinnung und Verbissenheit stoßen. Wenn sie für Geld und gute Worte weder Speise und Trank, noch sonstige Lebensutensilien erhalten können, wenn ihnen die Bevölkerung des besiegten Landes, wie hier, geradezu provocirend entgegen tritt; ist es dann ein Wunder, wenn auch sie unmuthig werden und wenn z. B. unsere Polacken vom tapfern 58. Regiment mit allen möglichen Mitteln zu requiriren beginnen?! - Später, an der Loire, wurde das anders. Nicht blos die Bayern, die „hellblauen Teufel", wie sie von den Franzosen genannt wurden, sondern auch unsere Leute von der 22. und der 17. Division kauften damals einfach für fünf Sous", und wenn da irgend ein mürrischer Widerstand sich zeigte, so gab es noch „fünf zu". Aber, das betone ich noch einmal, man verseke sich in die Lage dieser armen Leute, die bei Regen und Schnee oder Frost 8-10 Stunden marschirt und gekämpft hatten und zum folgenden neuen Marsch- und Kampftage sich stärken sollten, und die dann beim Eintritt ins Quartier mit dem stereotypen ,,nix du pain, nix du vin" empfangen wurden. Der Magen machte sein Recht geltend und der Kampf ums Dasein zwang, etwas kategorisch aufzutreten und den Begriff requiriren etwas weit zu fassen. Warum auch nicht!? - machten es doch die französischen Truppen ihren eigenen Landsleuten gegenüber viel schlimmer.
Da es heute Sonntag ist, lockte mich das Geläut der Abendglocken bald zu der schönen Mauritiuskirche, welcher die andächtige Menge zuströmte. Die schöne, im reinsten gothischen Style ausgeführte Kirche muß jeden Freund derartiger Bauten durch die Consequenz, mit welcher der Baumeister Alles, bis in die kleinsten Details im Innern, wie im Aeußern, streng stylgerecht durchgeführt hat, entzücken.
Meine Freude über das Werk wurde aber bald verdorben, indem nach Beendigung des Gesanges plötzlich ein echtes Jesuiten-Gesicht auf der Kanzel erschien und nun mit französischer Lebhaftigkeit und einem Aufwand aller möglichen theatralischen Effekte gegen den Feind losdonnerte, der „von Norden her in das Land Juda, dem Kodesch-Jehovah gewaltsam hereinbricht." Da ich infolge meines vorjährigen Studien-Aufenthaltes in Genf die Terminologie der französischen Kanzelberedsamkeit so ziemlich inne hatte, so verstand ich, trotz der staunenswerthen Zungenfertigkeit des Pfaffen, alle seine Ausführungen. Ich war empört. über diese Dreistigkeit, welche selbst mitten in der Gewalt unserer Heere, inmitten unseres derzeitigen Hauptquartiers, ja. sogar in Gegenwart einiger andächtig betenden Polacken vom. 58. Regiment uns an heiliger Stätte zu verhöhnen und den Protestantismus der „Leute von Norden her" zu schmähen wagte. Ich beschloß ihn zu züchtigen, und that dies, indem ich nach Art der Fremden in katholischen Domen durch das Seitenschiff der Kirche hinauf ging und mich dicht vor die Kanzel stellte. Als nun das Pfäfflein bei einer hoch-pathetischen Pause plötzlich meiner ansichtig wurde und aus meinen wüthenden Blicken wohl lesen mochte, daß ihn die „Männer von Norden: her" verstanden hatten, fuhr er vor Schreck zusammen. Er stotterte, suchte mit Mühe nach Worten und ward über und über roth im Gesicht; - kurz, er war aus dem Zusammenhang, oder wagte sich nicht mit den Phrasen und weiteren Beleidigungen heraus, welche er zu Haus vorbereitet hatte. Die ganze Scene wurde etwas peinlich, und da hierdurch die Andacht der Anwesenden gestört werden konnte, so zog ich mich mit Rücksicht auf die heilige Stätte wieder zurück, machte mir aber nach. Beendigung des Gottesdienstes den Spaß, mich mit mehreren Kameraden an dem Neben-Ausgang der Kirche auszustellen und so den zitternden Pfaffen, diesen sonderbaren Diener der Religion der Liebe, mit seinen beiden Begleitern Revue passieren zu lassen.
Dieser Ausbruch des Fanatismus an heiliger Stätte ließ uns mit tiefer Trauer erkennen, daß unter dem zweiten Kaiserreich, und speciell unter der bigotten Kaiserin Eugenie und ihren jesuitischen Beichtvätern, der Protestantismus genau so verlästert und verfolgt werden darf, wie zur Zeit der bourbonischen Heinriche und Ludwige. Es giebt nichts Herzzerreißenderers, als die Geschichte des französischen Protestantismus, - eine Geschichte voll des erhabensten Heroismus, der rührendsten Glaubenstreue und der entsetzlichsten Schmerzen. In einem fast dreißig Jahre hindurch immer neu auflodernden Bürgerfriege werden die Protestanten niedergeworfen; in den Schreckensnächten der Bluthochzeit fallen die edelsten Söhne Frankreichs, diejenigen, auf welche man, wie auf Coligny, heute hinweist als auf Typen alles des Großen und Hochherzigen, was im französischen Charakter liegen kann. Zu Mördern werden an diesen frommen Helden jene schwachen, ausschweifenden Könige, die zu Müttern und Gattinnen grausame, intriguante Italienerinnen haben; und endlich ersteht als furchtbarster Gegner jener Richelieu, in dem der römische Kardinal und der französische Staatsmann zusammenwirken, um eine Staatsraison zu finden, welche dann unter Ludwig XIV. die ruchlose Hand zum Todesstoße gegen den Protestantismus erhob, - einem Könige, der sein sündenvolles Leben, auf Anrathen seines Beichtvaters, dadurch zu sühnen glaubte, daß er seine hugenottischen Unterthanen, die treuesten und fleißigsten, die er hatte, der ganzen Wuth und Rohheit des römischen Fanatismus preisgab. Während England, Holland und besonders Norddeutschland, die brandenburgisch-preußischen Herrscher voran, durch Aufnahme dieser über die Grenze entkommenen Hugenottten einen reichen, noch heute im Volksgeist und Industrie einzelner Städte (Berlin, Potsdam, Frankfurt, Hanau, Neuwied, Leipzig, Emden u. A.) zu spürenden Segen empfingen, folgte für die in Frankreich mit Zwang zurückgehaltenen Protestanten die hundertjährige Geschichte der „Gemeinde in der Wüste,“ der verfolgten Prediger, die nicht selten am Galgen starben, jener Opfer, die wegen einer in ihrem Besitz gefundenen Bibel als Sklaven auf den Galeeren angeschmiedet wurden, deren geraubte Kinder ihr Elend in den Klöstern ausseufzten, - die in aller Form Rechtens begangenen Morde bis herab auf den ehrwürdigen Calas, den es ist noch nicht viel über hundert Jahre her, - der wilde Glaubenshaß auf's Rad flocht. Es thut wehe, sehr wehe, all dieses Jammers, dieser Fluth bitterer Thränen, dieser gebrochenen Glieder und Herzen auch nur flüchtig zu gedenken. Aber es gehört das vollständig zur Sache. Denn jener Zug grausamer Bestialität, der im französischen Volkscharakter liegt, diejenigen Eigenschaften, von denen die deutsche Pfalz vor zweihundert Jahren so schreckliche Proben sah: sie haben ihre Brutstätte und Schule gefunden in jener altgewohnten, den hugenottischen Mitbürgern gegenüber beliebten Mord-Praxis. Fast jedes Blatt in der Geschichte Frankreichs, so schrieb Holzmann vor Kurzem, von der Reformation bis auf die Revolution ist mit Blut besudelt, vergossen nicht etwa blos von dem blinden Fanatismus der bigotten Menge, die sich dabei einfach nur dem Geiste ihrer kirchlichen Leiter überließ, nein - ebenso oft auch von der kalten Hand jener verbrecherischen Staatskunst, deren bewußt fest gehaltenes Ziel es war, Frankreich groß und stolz zu machen auf Kosten der Gewissensfreiheit und der religiösen Wahrheit. Ja, diese Staatskunst hat Früchte getragen, - Früchte, von denen wir uns mit Entsetzen abwenden. Es steckt heute noch vielen Franzosen der Trieb im Blute, im Protestanten als solchen, gehöre er nun der eigenen oder einer fremden Nationalität an, den geborenen politischen Feind zu sehen, dem gegegenüber Alles erlaubt ist. Man braucht nicht an das Monate hindurch währende Schreckenssystem zu erinnern, welchem 1815 die Protestanten zu Nismes erlegen sind; in seiner Art liefert auch der jetzige Krieg die Beweise hierfür mehr als genug.
Es lebt ja noch in Aller Erinnerung, wie der Figaro den „Krieg gegen die Feinde Frankreichs nach Außen und im Innern“ predigte, und wie die Bischöfe von Nismes und Angers in glühenden Ansprachen den Kreuzzug gegen die deutschen Ketzer empfahlen; ja, wie selbst Cardinal Donnet die Preußen beschuldigte, „dem französischen Volke seine katholische Religion nehmen zu wollen." Haben nicht Zeitungen, wie das Journal de Paris und der oben genannte Figaro, offen alle Protestanten als geheime Verbündete Preußens dem Volkshasse denuncirt?! Aller sonst zur Schau getragenen Aufklärung zum Hohn, schrieb das Journal de Paris Phrasen, wie folgende: „Nur mit Zittern könne die katholische Vendée den französischen Boden durch die protestantischen Preußen befleckt sehen!" Und wahrlich, die in der neueren Völkergeschichte unerhörte Barbarei, womit das französische Volk vor vier Wochen zahllose deutsche Familien ohne Schonung aus dem Lande trieb, indem es dieselben zugleich alles dessen beraubte, was sie durch jahrelangen Fleiß erworben hatten, - sie sieht ganz aus wie eine würdige Fortsetzung der Aufhebung des Ediktes von Nantes. Was man auch immer zum Lobe des französischen Nationalcharakters sagen mag: Protestantenhaß,*) Ketzerverachtung, bösartiger, leicht zum Aeußersten übergehender Fanatismus ist demselben tief eingeimpft, und zwar wurzeln diese Leidenschaften nicht minder in den politischen als in den religiösen Instinkten der Nation; sie sind mit ihrem Bewußtsein, die „grande nation" zu sein, unzertrennlich verwachsen. - Ist es da ein Wunder, wenn solcher Haß und solcher Fanatismus selbst an heiliger Stätte aus Priestermund in unserer Gegenwart gepredigt wird?!
Die völlige Zersetzung des französischen Staatskörpers, wie sie heutzutag, gleich nach den ersten Niederlagen des Kaiserreichs, zu Tage tritt, zeigt in erschreckend klaren Schriftzügen, was aus einem sonst so reich beanlagten Volke wird, dessen religiöses Interesse und dessen Gewissen systematisch seiner politischen Bedeutung und seinem nationalen Ehrgeiz geopfert wird. Eine Hoffnung in Frankreich haben derzeit nur noch die römischen Pfaffen. Denn jede Regierung, welche der Zukunft sicher sein will, wird sich an dieser allein noch sicher und fest gebliebenen Macht des geistlichen Despotismus in die Höhe ranken müssen. Nicht weniger als 17 Verfassungen haben im Laufe der letzten 80 Jahre in Frankreich mit einander gewechselt. Auf dieser 17 stufigen Leiter sind Kaiser und Könige, Monarchien und Republiken, Constituanten und Legislativen auf und abgerutscht: folgerichtig in die Höhe gestiegen ist nur der Clerus, und, wie die Dinge jetzt stehen, wo aus Napoleons Munde die verlogenste aller Phrasen kam: „Meine Regierung, ich sage es mit Stolz, ist vielleicht die einzige, welche die Religion um ihrer selbst willen unterstützt hat", - da läßt sich mit ziemlicher Sicherheit weissagen, daß das französische Volk unter allen vielleicht noch bevorstehenden Wandlungen, aus dieser todtbringenden Umarmung des Jesuitismus sich nie mehr wird losringen können; es wird in ihr verbleiben. Nur der Protestantismus hätte es retten können.

*) Ein Beispiel für viele: Ein elsaß-lothringischer Geistlicher, der als protestantischer Feldprediger mit nach Mexico geschickt war, mußte sich dort angesichts seiner katholischen Collegen die verächtlichste Behandlung seitens des kommandirenden Generals gefallen lassen. Der militairische Instinkt der Armee und eines Bazaine hat es richtig herausgefühlt, daß im zweiten Kaiserreich der Protestantismus jedenfalls ein fremder und unnützer Artikel sei.

 

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